BACK TO 81: SLIME – SLIME

Es gibt Menschen die behaupten, dass die erste Platte von Slime doch nur Phrasendrescherei ist, keinen intellektuellen Anspruch besitzt und die Akteure noch nicht einmal Nickelbrillen zu ihren Karohemden tragen. Diese Menschen haben vermutlich zumindest in Teilen Recht, sollten jetzt aber bitte trotzdem sofort diese Website schließen und eine Tocotronic-CD in ihren USB-Eingang stecken.

Natürlich ist die erste Scheibe von Slime nicht so ausgefeilt, wie es mancher gerne hätte, aber genau das macht den Reiz aus. Nicht vergessen darf man, dass die Bandmitglieder zu dem Zeitpunkt gerade mal wenn überhaupt dem Teenageralter entwachsen waren. Außerdem stellte Slime – Slime 1 eine gewisse Zäsur da, weil es die politische Punkspreu vom Weizen trennte und ganz klar linksradikale und antifaschistische Farbe bekannte.

Ich möchte jetzt nicht starr alle 14 Songs jener Platte einzeln runter rezensieren, die vermutlich ganze Generationen an PunkeInnen im deutschen Sprachraum mitpolitisiert haben dürfte. Abseits der stringenten „Weg mit dem scheiß System“-Attitüde sind jedoch durchaus auch ein paar handfeste Trinkerhits wie „1,7‰ Blues“ oder „Karlsquell“ auf der Scheibe zu finden. Definitiv widmen werde ich mich im Folgenden jedoch den zwei wohl bekanntesten Nummern auf Slime 1.

Das allseits beliebte und nach wie vor livegespielte „Bullenschweine“ ist für mich bis heute die Mutter aller deutschsprachigen Antiexekutiv-Songs. Und ja, es ist ein unverhohlener Aufruf zur Gewalt, es ist aber vor allem auch im Kontext der damaligen Zeit zu sehen. Ich lehne mich sicher nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich Teilen der Hamburger Cops damals wie heute eine Gewaltbereitschaft unterstelle, von der sich die durchschnittlichen HausbesetzerInnen der 1980er bis hin zu den G20-DemonstranInnen der 2010er durchaus noch Scheiben abschneiden hätten können. Das Lied war also nix anderes wie eine musikalische Wutreaktion auf diverse polizeiliche Aktionen und textlich natürlich schwer überzeichnet. Wäre  es den Jungs von Slime wirklich daran gelegen, Polizisten zu erschlagen, würde ich meine Originalausgabe der Platte noch heute der Hamburger DPolG spenden. So aber ist „Bullenschweine“ immer noch das was es immer war, ein demowagentauglicher Punksong, den auch die Protagonisten der damaligen Szene nur sehr bedingt als tatsächliche Handlungsanleitung wahrgenommen haben.

Im Jahre 1997 wurde der Versammlungsleiter einer kleineren linken  Demo in Berlin zu einer saftigen Strafe verurteilt, weil am Demowagen verbotenerweise das damals noch indizierte Lied „Deutschland muss sterben“ abgespielt wurde. Wir erinnern uns: Das Lied nimmt Bezug auf ein während der NS-Zeit errichtetes Kriegerdenkmal am Hamburger Dammtor, dessen Inschrift „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“  lautet und das auch heute noch dort steht. Slime machte mit seinem Song „Deutschland muss sterben“ eigentlich nichts anderes, als diese miese nationalistische Inschrift zu konterkarieren („Deutschland muss sterben, damit wir leben können“). Jedenfalls ging der verurteilte Versammlungsleiter den Weg der gerichtlichen Einspruchsinstanzen hinauf bis zum Bundesverfassungsgericht und bekam Recht. Am 03. November 2000 urteilte das BVerfG wie folgt: „Das Lied ‚Deutschland muss sterben‘ ist Kunst im Sinne dieses Grundrechts. Dies ergibt sich sowohl bei ausschließlich formaler Betrachtungsweise, weil die Gattungsanforderungen des Werktyps ‚Komposition‘ und ‚Dichtung‘ erfüllt sind, als auch bei einer eher inhaltsbezogenen Definition des Kunstbegriffs“.[1] Das wirkliche spannende – aber nicht unlogische – an diesem Urteil ist, dass das BVerfG dezidiert auf Heinrich Heine verweist und mit seiner Ballade „Die schlesischen Weber“ argumentiert. Im Urteil lautet es nämlich des Weiteren: „In einem 1844 erschienenen Gedicht formuliert Heinrich Heine eine kaum weniger radikale und bittere Kritik an den Zeitumständen, und auch er sieht sein Vaterland dem Untergang geweiht“.  Und ja, was soll man sagen? Wenn man mit Heinrich Heine verglichen wird, hat man vermutlich einen durchaus stabilen antifaschistischen Text abgeliefert!

[1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2000/11/rk20001103_1bvr058100.html

Die Platte Slime 1 (Raubbau Records, 1981) ist in einem brauchbaren Zustand vermutlich nicht unter 70 Euro zu bekommen. Seid jedenfalls bei Nachpressungen vorsichtig, denn bei den meisten ist „Deutschland muss sterben“ und „Bullenschweine“ mit äußerst lästigen Piepstönen zensiert!
– written by Martin Murpott

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