Review: Missstand – Bon Apathie

„Bonjour Tristesse, Bon Apathie!“Missstand melden sich mit neuer Besetzung und neuem Album zurück und geben diesem Jahr 2021 doch noch einen Sinn! „Bon Apathie“ enthält dreizehn Songs, wobei sich die Grazer das Sum 41 Motto „All Killer, No Filler!“ zu Herzen genommen haben. Im Gegensatz zu Deryck Whibley und Konsorten halten sich Missstand aber daran und liefern auf ihrer neuen Platte das stabilste Hymnengeballer der letzten Jahre ab!

Bevor ich die euphoriegeschwängerte Luft komplett veratme, um im Kopfsprung in die neue Missies Platte einzutauchen, gibt’s noch schnell eine Bestandsaufnahme für euch Faktenhäschen: Missstand sind mittlerweile nicht mehr zu dritt, sondern zu viert. Schlagzeuger Dani hat die Band verlassen. Dieser wird ersetzt von Manny von den Blizzcreeps. Patze wollte sich das Leben selbst wieder verkomplizieren und hat den Bass gegen die Gitarre getauscht, hat jetzt zwei Saiten mehr zu bedienen, wirkt aber ziemlich glücklich damit. Den Bass schnallt sich nun Siegi von Antimanifest um und schraubt die Durchschnittsgröße der Bandmitglieder nach oben. Die einzige Konstante in der Band heißt also Mani, singt und spielt weiterhin fabelhaft Gitarre. Hinzu dufte er auch wieder zu Stift und Papier greifen und neben Texten auch für das Artwork von „Bon Apathie“ sorgen.

Missstand (c) Bernhard Schindler

Weiterentwicklung a la Glurak

Die Spannung wie bei einem guten Roman langsam zu steigern und ins Unermessliche zu treiben, habe ich ohnehin nicht geschafft. Darum falle ich mit Lobeshymnen gleich weiter ins Haus und steh quasi schon im Wohnzimmer. Das ist das mit Abstand beste Album von Missstand. Die neue Bandbesetzung macht musikalisch sehr viel möglich und die Kreativität zeigt sich in vollen Zügen. Über die Jahre hatte sich eine klare Formel für Missstand-Songs herauskristallisiert. Man wusste was man kriegt. Das ist nun anders. Vielschichtiger, technisch versierter, verspielter und mutiger treten Missstand auf und überraschen an allen Ecken und Enden. Manny bringt neuen Drive in die Band, durch die dazugewonnene Gitarre kommen die Songs noch fetter und Siegi ist am Bass ohnehin eine Macht. Die Entwicklung vom Deutschpunk hin zu Punkrock mit deutschen Texten ist somit abgeschlossen und steht der Band richtig gut. Was einst ein stabiles Glumanda war, ist nun diese übermächtige Glitzer Hologramm-Karte von Glurak.

Mehr Inhalt, feinere Klinge

Doch nicht nur musikalisch, sondern auch textlich wagen sich die vier Boys in neue Gefilde. Statt Parolengedresche gegen rechts finden sich nun auch viele persönliche Themen auf „Bon Apathie“ wieder, was mir sehr gut gefällt. Klar, die Songs gegen rechts gibt es immer noch. Anstatt aber mit der Faust in die Fresse zu ballern, strecken Missstand nun alle zehn Finger aus und legen diese in verschiedene Wunden der Gesellschaft.

Von Antriebslosigkeit („Bonjour Tristesse“ & „Nervous Again“ – meiner Meinung nach die zwei besten Missstand Songs ever), über Songs gegen die Polizei und Nazis – wo war da noch mal der Unterschied? („Haider Youth“, „Kommando 13. Dezember“, „Von Schwalben und Geiern“) bis hin zur Kritik an der Arbeitswelt („Ohnmacht Hamsterrad“, ein Feature mit der wundervollen Ren von den Petrol Girls) und der ersten eigenen Feder/Baller/Sauf-Hymne a la ZSK („Heute alles“) ist eben alles dabei, was das Punker*innenherz begehrt. Mit feiner Klinge und Präzisionsarbeit sitzen Worte wo sie müssen und die Refrains gehen allesamt gut ins Ohr.

Mehr: ZSK im Interview

Missstand – Bon Apathie – Cover

Da ich selbst aus einer kleineren Stadt komme, hat es mir „P-34A“ extrem angetan. Vom Tätowierer der Nazi Symbole sticht, über konservative Priester und Lehrer*innen bis zur Apotheke mit rassistischem Namen. Kommt mir alles – leider – ziemlich bekannt vor. Das bescheidene Dorfleben wird analytisch zerpflückt und mit Wut niedergebrannt. Schönen Gruß an die Feuerwehr an dieser Stelle.

Neben Ren hört man mit Sarah von AKJ noch ein zweites Feature. In “No Country For Old White Men” wird mit der Generation CIS-Männer abgerechnet. Haus, Garten(zwerg) und guter Job – ein Dank dem Nachnamen Müller und der Zugehörigkeit zum “stärkeren Geschlecht” – Sexistische und rassistische Kackscheisse. Missstand schaffen es auf ironische und clevere Weise die vermurkste Gesellschaft der zentraleuropäischen weißen Männerschaft in seine Einzelteile zu zerlegen und haben mit Sarah die ideale Steinschleuder-Partnerin am Start.

Mehr: Review: Akne Kid Joe – Die große Palmöllüge

Fazit

Ich wollte ursprünglich ein track by track Review machen, doch das würde den Rahmen hier sprengen, den ich mit der jetzigen Review zumindest eh auch schon eingerissen habe. Doch jeder Song auf diesem Album hätte es verdient hier genau unter die Lupe genommen zu werden. Nach „I can´t relax in Hinterland“ durften Missstand zusammen mit Bands wie der Terrorgruppe, ZSK, Feine Sahne Fischfilet, oder Knochenfabrik touren. Mit „Bon Apathie“ macht man einen riesen Schritt, um selbst eine solche Karriere wie diese Bands hinzulegen. Gewagte These? Wer weiß? Zuzutrauen wäre es Missstand allemal. Chapeau!

-written by powerpup

Review: Missstand – Bon Apathie
Menü schließen