FILM REVIEW: ES IS ZUM SCHEISSN

„Es is zum Scheissn“, denn ihr habt am 25.03.2020 so gegen 20:00 die vorerst letzte Chance verpasst, dieses liebevoll in Szene gesetzte Dokumentation über die Wiener Punk-Szene von 1977 bis 1988 auf die Flimmerkiste oder euren Laptop zu bekommen. Doch was war passiert?

Kommen wir zu Vorgeschichte: Bereits im Jahr 2013  begann der DIY-Fotograf, Grafiker, Skater und nun auch Neoregisseur Thomas Reitmayer, erste Interviews mit (ehemaligen) Szenegrößen zu führen, Kontakte zu knüpfen und herzeigbares Material zu sichern. Stolze aber wohl notwendige sechs Jahre später war das jetzt schon äußerst kultige filmische Werk schließlich fertig.

Ich möchte über den Macher gar nicht zu viele Wörter verlieren, weil er die Doku betreffend alles richtig gemacht hat. Er lässt nämlich die AkteureInnen von damals einfach erzählen und mischt das ganze mit wohl einzigartigem Film- und Fotomaterial, ohne sich dabei auf irgendeine Weise selbst zu inszenieren. Nur leider liegt in diesem Film- & Fotomaterial auch der Hund begraben.

Man möchte meinen, dass gerade im Punk Handschlagqualität noch einen gewissen Stellenwert haben sollte.  Als „Es is zum Scheissn“  im Oktober 2019 endlich zu seiner wohlverdienten Filmpremiere kam, passierten zwei Sachen. Zum einen gab es einen mit 160 Personen ausverkauften Kinosaal und sehr viel positives Feedback. Zum anderen gab es einen nicht unwesentlichen Protagonisten der Doku, der noch am selben Abend dem Regisseur die Erlaubnis entzog, die von ihm bereitgestellten Zeitdokumente auch weiterhin zu verwenden. Besagter Protagonist dürfte laut Thomas Reitmayer schon während der Arbeiten am Film diesbezüglich recht launisch gewesen sein. Allerdings räumt der Regisseur auch eine gewisse Eigenschuld ein, da er in wohl nachvollziehbarem gutem Punkrockglauben auf schriftliche Vereinbarungen verzichtet hatte. Dass ein weiterer nicht unwesentlicher Protagonist des Films ebenfalls immer wieder Öl in diese Film- und Fotorechtssache gegossen hatte, machte die ganze Sache natürlich auch nicht unbedingt einfacher. 

Soweit so schlecht und vor allem auch Schade, denn der Film hat nicht nur im engeren punkgeschichtlichen Sinne einiges zu bieten. Viele Spätgeborene dürften die vorkommenden Bands vor allem durch den „Es Chaos ist die Botschaft, es Wurschteln es“-Sampler kennengelernt haben (Luziprak Records, 1997). So kamen unter anderem Mitglieder der großartigen Hard Core-Punkband Extrem zu Wort und Song. Die Dead Nittels („Tag ins unserem Leben“), Pöbel („Es lebe hoch die Perversion“) und vor allem auch die Böslinge („Scheiß Kibarei“) durften natürlich ebenso wenig fehlen, wie die Szenepioniere von Chuzpe („Nervengas“) und Dirt Shit („Da letzte Dreck von Wien“). Man sieht Aufnahmen von Black Flag und den Dead Kennedys, wie sie sich in der Arena Wien mit dem nicht immer ganz nüchternen Trupp an einheimischen Punks herumschlagen und bekommt durchaus witzige Anekdoten und Geschichten zu den Konzerten erzählt. Legendär auch die Räumung des Autonomen Jugendzentrums Gassergasse durch gewaltbereite Hooligans in grüner Uniform oder der Kampf um die besetzen Häusern der Aegidigasse.

Es ist soweit, die ersten Stimmen werden an dieser Stelle laut und schallen durch die fiktiven Redaktionsräume des Punktacks Magazine. „Martin Murpott du Arsch, hast du nicht was vergessen?“ Nein, habe ich nicht! Natürlich gab und gibt es Frauen in der Wiener Punkszene, auch wenn diese im Film wohl zu wenig Raum bekommen. Wer jedoch interviewt wird, ist Ilse FF von den wunderbaren A-Gen 53. A-Gen 53 war die erste zumindest streckenweise rein weibliche Punkband Wiens und ich feiere sie alleine wegen dem Namen schon ziemlich ab, denn er wurde einem damals gängigem Vaginalzäpfchen zur Empfängnisverhütung entlehnt. Texte wie „Unserans in Stalingrad bei Minus 40, 50 Grad, Hirn erfroren – deppert worden, aber dafür an blechernen Orden“ tun meiner nostalgischen Begeisterung natürlich auch keinen Abbruch.

Die zweite Band, die explizit erwähnt und mit raren Liveaufnahmen gewürdigt wird, und zumindest eine sehr charakteristische Frontfrau besaß, war Schund. Obwohl Schund gerade mal 2 Jahre existierte, brachten sie es nicht nur auf eine selbstbetitelte 7‘‘ und einen Beitrag für den legendären „Heimat Bist du großer Söhne“-Sampler (Panza-Platte, 1982), sondern sogar auf eine 2013 gegründete und recht aktive Coverband namens Schünd. Dass Sängerin Doris zu keinem Interview herangezogen wurde, sei dem Regisseur verziehen, sie wurde 1983 im Zuge der Auseinandersetzungen um die Gassergasse nach Deutschland ausgewiesen. Sollte Thomas Reitmayer den widrigen Umständen zum Trotz beschließen, irgendwann eine Fortsetzung oder Erweiterung seiner Doku zu drehen, findet er ja vielleicht noch ein wenig Material zu den Plastix oder den Gruftrosen.

Zu guter Letzt: Zu den ein bisschen weiter oben erwähnten Geschichten und Anekdoten gehören auch Menschen, die sie erzählen. Einer dieser Geschichtenerzähler und bis zuletzt Stammgast in der Wiener Arena war ein gewisser Lörkas, der vor allem als Szeneoriginal, „äußerst lieber Kerl“ sowie Bassist der Dead Nittels und Pöbel auch einem jüngeren Publikum noch bekannt war. Leider war der Tribut zu hoch, den er an ein jahrzehntelanges und ausgiebiges Szenedasein zahlen musste. Er verstarb mit nur 55 Jahren im Mai 2017 und folgte damit einem weiteren Geschichtenerzähler. Im Film nicht mehr zu Wort, aber zumindest in die Anekdoten, kommt ein weiteres Szeneoriginal, dass man bis zuletzt im Umfeld der Arena antreffen konnte. Sheriff verstarb 2012 und war für Thomas Reitmayer mitunter ein Grund, die Doku überhaupt zu machen. Rest in Power – Rest in Punk!
– written by Martin Murpott

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